Navigationen, 4. Jg. 2004, Heft 1/2, S. 187-198

2001: Die Wende zur neuen Einfachheit

Fast alles im Fernsehdesign wird heute mit Adobe After Effects hergestellt, das sehr viel billiger ist als die schnellen, aber teuren High-End-Finishing- und -Animationssysteme von Quantel, wie Editbox oder Hal. Die kreativen Möglichkeiten der After Effects-Software, die sich vor allem im Bereich architektonisch-räumlicher Lösungen bewegen, führen allerdings dazu, dass die neuen TV-Designs sehr viel grafischer und farbig flächiger sind als zu den Zeiten, in denen aufwändige "Realdrehs" noch gang und gäbe waren. Dies ist ein nicht zu unterschätzender Grund, warum beispielsweise Viva (seit 2002) und RTL (seit 2004) in ihren Senderkennungen und Trailern einen weißen Hintergrund verwenden.

Abb. 8: Station-ID Viva 2002                              Abb. 9: Trailer-Verpackung (Opener und Packshot) RTL 2004
         

Die Trailer, die zwischen den Videoclips platziert sind, kommen jetzt sozusagen aus der "Weiße des Raums" und verschwinden wieder in ihr. "Durch die weißen Übergänge sind wir in der Gestaltung der Trailer nicht nur flexibler, in Kombination mit dem im Sounddesign integrierten digitalen Lagerfeuer sind die Viva-Station-IDs auch eine Insel der Ruhe", betont Viva-Designer Patrick Kast.[72] Für ein solches, eher schlichtes Designkonzept gibt es auch noch andere, pragmatische Gründe. Verschiedene Länder und Kulturkreise haben teilweise eine unterschiedliche Farbsymbolik. Ein Logo auf weißem Hintergrund funktioniert in jedem Land, auch in China und Litauen, wo Viva auch präsent ist.

Neben Viva verfügen auch N24 und n-tv seit ihren Redesigns 2003 über erhöhte Weißanteile in ihrem Erscheinungsbild. Es scheint sich offenbar die Erkenntnis durchzusetzen, dass Weiß die billigste Farbe ist, so der ehemalige RTL-Chefdesigner Manfred Becker.[73] Dementsprechend spiegelt sich bereits in der Farbwahl die wirtschaftliche Verfassung der TV-Sender wider.[74]

Wurde vor kurzem das TV-Design, sprich das visuelle Gestaltungskonzept und dessen praktische Umsetzung, von den TV-Marketingchefs noch mindestens für ebenso wichtig wie das Programm selbst angesehen, so hat sich seit 2001 einiges geändert. Zwar ist das Design für einen TV-Sender immer noch das, was die Verpackung und der werbliche Auftritt für einen Markenartikel sind – nämlich das äußerlich sichtbare Signal für Qualität und Beschaffenheit des Inhalts, Garant für einen Wiedererkennungseffekt und damit Auslöser einer gewissen Treue zum Produkt und gleichzeitig Transporteur eines emotionalen Images, einer Befindlichkeit, die mit dem Produkt verbunden wird. Aber in Zeiten knapper Kassen stehen Fernsehsender vor ähnlichen Problemen wie jeder andere Hersteller von Markenartikeln.

"Die Not bestimmt den Trend und das heißt, dass für kleines Geld häufig ein flächigeres Grafikdesign produziert wird."[75] Diese Entwicklung kann man aktuell beim Design von 3sat (seit 1.6.2003), dem MDR-Fernsehen (seit 1.10.2003) und dem RBB-Fernsehen (seit 29.2.2004) beobachten. Bei diesen öffentlich-rechtlichen TV-Sendern erkennt man darüber hinaus, dass sie sich konsequent den Privatsendern angepasst haben. So lautet der Anspruch des MDR-Creative Director Klaus Schuntermann an sein neues Design: "Farbig wie RTL, sachlich wie die ARD und emotional wie ProSieben – dies zusammengemixt ergibt den werblichen Auftritt"[76], der seiner Meinung nach vom Zuschauer gewünscht wird. Wie soll unter diesen Vorgaben noch eine Markendifferenzierung stattfinden?

Der Trend zur Uniformität zeigt sich in der Gestaltung der Werbetrenner. Nachdem Arte als erster Fernsehsender die "Vermenschlichung des Designs"[77] vorantrieb, versuchten 1995 auch RTL und später SAT.1, VOX, RTL2 und ProSieben durch Großaufnahmen attraktiver Gesichter die Zuschauer emotional zu fesseln (Emotional Bonding[78]), um den Audience-Flow zu Beginn eines Werbeblocks nicht abreißen zu lassen.

Auch 3sat, MDR-, NDR-, SWR-, ORB- und RBB-Fernsehen folgten und folgen in ihren ca. 10-sekündigen Station-IDs diesem Trend, obwohl bei diesen öffentlich-rechtlichen Sendern die Erzeugung eines gleitenden Programmübergangs in die Werbung kein Gestaltungskriterium sein kann.

Schaut man sich Logogestaltung und Farbwahl im TV-Design genauer an, stellt man fest, dass neben Weiß die Farbe Rot eine immer wichtigere Rolle in der ästhetischen Strukturierung des Fernsehens spielt. So werden bei ProSieben und dem RBB-Fernsehen die Spielfilmtrailer nicht mehr über ein Schwarzbild, sondern immer häufiger über ein rotes Vollbild ausgeblendet.

Selbst die letzten "schwarzen Löcher", die wenige "Zeit des Nichts"[79] wird damit von der On-Air-Promotion noch zur Imagebildung genutzt und das mit einleuchtendem Grund: Neurophysiologische Studien zeigen, dass rotes langwelliges Licht eine maximale Erregung des Gehirns auslöst.[80]

Abb. 10: Rote Trailer-Verpackung (Opener und Packshot) 3sat 2003                                            Abb. 11: Rotblende ProSieben-Trailer
         

Das chromgraue Fernsehen, das von Mitte der 80er bis Mitte der 90er Jahre prägend war, ist zwar nicht bunter, jedoch farblich eindeutiger geworden.

Dies wird besonders am SAT.1-Ball deutlich, dessen Größe und Vielfarbigkeit (von 16 zunächst auf 12 und später auf 9 Farben) sukzessive reduziert wurde und der sich seit dem 3.9.2004 "eintönig" präsentiert.

Sah Otl Aichers Farbphilosophie, die das ZDF von 1972 bis 1997 prägte, noch 6 verschiedene Programmfarben in 40 Zwischentönen vor,[81] so kann die Reduzierung auf 3 Farben – Rot (für Unterhaltung), Blau (für Information) und Grün (für Sport) – stellvertretend für die Entwicklung der Programmvielfalt betrachtet werden.

Bedenkt man ferner, dass im Unterhaltungsbereich seit 2001 zwischen den 4 ZDF-Genretypen "Entertainment Dark", "Darkest", "Light" und "Lightest" und damit einhergehend zwischen 4 Rotabstufungen unterschieden wird, während für Information und Sport nur jeweils zwei Genredifferenzierungen vorgesehen sind,[82] dann ist diese design- und marketingstrategische Schwerpunktsetzung für das ZDF-Programm kennzeichnender als jede empirische Programmstrukturanalyse.

Die hier vorgestellten Formen der Programmwerbung fungieren somit als Detektoren für allgemeine Veränderungen des Mediensystems. An der Entwicklung des Fernsehtrailers lässt sich der Wandel des Fernsehens selbst ablesen.

Dies verdeutlicht die 1950 von Martin Kunath geäußerte Feststellung zur Programmankündigung im Rundfunk: "Es ist unangebracht, uns die 'köstliche Stimme' des Tenors X anzukündigen. Entweder empfinden wir sie als köstlich, dann bedarf es der vorwegnehmenden Feststellung vom Mikrofon her nicht. Oder wir sind anderer Meinung, dann ändert daran auch die Anpreisung nichts. [...] Der Rundfunk ist kein Kramladen, der seine Ware anpreisen muß."[83] Gegenüber dieser heute naiv anmutenden Haltung scheint der Fernsehtrailer mittlerweile nur einem Ziel zu dienen: "Design und Marketing müssen es schaffen, daß der 'Kunde' auf die in den Trailern und Logos unablässig über den Bildschirm flimmernden Markenzeichen so verläßlich reagiert wie die berühmten Pawlowschen Hunde auf die präsentierten Reize."[84]

 

Bildnachweis
Abbildung 1: NDR / Seibert, Uwe: Logos des Deutschen Fernsehens, abrufbar unter URL: <http://logofan.50megs.com/ photo.html> (28.9.2004). Abbildung 2, 3: WDR / Laughton, Roy: TV Graphics. London 1966. Abbildung 4: WDR. Abbildung 5, 10: ZDF/3sat. Abbildung 8: Viva. Abbildung 9: RTL Creation. Abbildung 6, 7, 11: ProSieben/SevenSenses.

 

Anmerkungen

[72] Vgl. Thielmann, Tristan: Weiß ist die billigste Farbe! Wie Mediendesigner und Marketingexperten dem konjunkturellen Umfeld trotzen. In: Medien-Bulletin, Nr. 10/2002, S. 64-67, hier S. 66.

[73] Vgl. ebenda.

[74] Nach Angaben von Markus Schmidt, bis 2004 Geschäftsführer der ProsiebenSat.1Media-Tocher SevenSenses, haben sich die Budgets für Design- und Marketingaktivitäten bei den TV-Sendern von 2001 zu 2003 halbiert. (Vgl. Thielmann, Tristan; Urbe, Wilfried: Palaver, Pulver und Promotion. In: Horizont, Nr. 15/2003, S. 46.)

[75] Manfred Becker zitiert nach: Thielmann, Tristan: Das Erste bestimmt das Tempo. In: Horizont, Nr.38/2003, S. 37.

[76] Klaus Schuntermann zitiert nach: Ebenda.

[77] Vgl. Schummer, Constanze: Es menschelt im Vorspann. In: Design Report, Nr. 1-2/1995.

[78] Vgl. Mattenklott, Axel: Werbung mit Gefühl: Emotional bonding. In: Ders; Schimansky, Alexander (Hrsg.): Werbung - Strategien und Konzepte für die Zukunft. München 2002, S. 528-559.

[79] Adolph, Jörg: "Wie Vorhänge im Theater oder Die lange Zeit des Nichts im gesendeten Programm." A.a.O., S. 124. Adolph zählte 1992 bei den Öffentlich-rechtlichen noch eine tägliche Schwarzbild-Sendezeit von zwei Minuten.

[80] Bei der Ausstrahlung der Zeichentrickserie "Pokemon" hat rotes TV-Licht in Interdependenz mit 12 fps schnellen Helligkeits-, Farb- und Bildwechseln einen "Rotschock" ausgelöst, woraufhin 685 Kinder und Jugendliche in Japan mit epileptischen Symptomen in Krankenhäuser eingeliefert wurden. (Vgl. Harding, Graham F. A.: TV can be bad for your health. In: Nature Medicine, Vol. 4, 1998, Nr. 3, S. 265-267.)

[81] Das abgestufte Farbklima des ZDF erinnerte an das dezente "Regenbogenspiel", mit dem Aicher bereits die Olympischen Spiele 1972 in München designte. Seine Farbskala klammerte die "aggressiven" Töne Rot und Violett gänzlich aus. Die ZDF-Programmfarben ordneten Orange der Wirtschaft und Gesellschaft, Grau der Kultur, Braun der Wissenschaft, Gelb der Unterhaltung und Grün dem Sport zu. Blau diente nicht nur zur Kennzeichnung politischer Sendungen, sondern war auch die Hausfarbe des ZDF. 40 Zwischentöne waren mit Hilfe eines Farbbaums so kombinierbar, dass sie selbst auf einem Schwarz-Weiß-Fernseher ein stimmiges Bild ergaben. Vgl. ZDF-Jahrbuch 1973, S. 81.

[82] ZDF Corporate Design (Hrsg.): Zweites Deutsches Fernsehen – Styleguide. Mainz 2001, Kapitel 3, S. 5.

[83] Kunath, Martin: Verfehlte Ansagen. In: Rufer und Hörer, 5. Jg. 1950/51, Heft 2, S. 70-73, hier S. 72f.

[84] Heribert Seifert zitiert nach: Sarholz, Karin; Jakobs, Peter; Wodtke, Ralf: WDR-Promotion. Arbeitspapier der Präsentations-Redaktion Fernsehen. Köln, Oktober 1996, S. 5.

 



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