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  Gliederung

"Eigentlich bestand keine Gefahr, dass die Vorausscheidung vom Grand Prix D' Eurovision schlechte Quoten haben würde. Sicherheitshalber aber informierte die ARD-'Tagesschau' um fünf ausführlich über das Ereignis. Zehn Minuten später berichtete 'Brisant' von den Show-Vorbereitungen. Sieger Stefan Raab nutzte das Spektakel für sich und seine Pro7-Sendung 'TV total'. In der wiederum wirbt Komiker Michael Herbig für seine Show 'bullyparade'. Eigenwerbung total - im TV keine Seltenheit."[1]


1. Einführung

1.1. Ankündigung des Programms

Am Anfang war die Programmankündigung – und dies in mehrfacher Hinsicht. Nicht nur beginnt die deutsche Geschichte des Rundfunkprogramms 1923 wie auch die Geschichte des Fernsehprogramms 1935 mit einer Ankündigung durch eine Ansagerin,[2] der Programm­begriff selbst wurde im deutschen Sprachgebrauch lange Zeit nur als "Ankündigung einer Darbietung oder Veranstaltung" verstanden.[3] Diesen auf etwas Zukünftiges, noch nicht Realisiertes, aber Versprochenes ausgerichtete Charakter des Programmbegriffs meinen wir noch heute, wenn wir von "Programmatik" sprechen.

Von der Theater- und Varieté-Veranstaltung mit ihrem Nummernprogramm wird der Programmbegriff zu Beginn des 20. Jahrhunderts vom Kino übernommen und auf die Abfolge mehrerer kurzer Filmstreifen übertragen.[4] Das Radio verwendet ab Mitte der zwanziger Jahre den Programmbegriff und bezieht ihn auf die Gesamtheit seiner Sendungen. Dabei wird Programm zunächst noch im Sinne der Ankündigung, des Vorhabens, was gesendet werden soll und was der Hörer zu erwarten habe, verstanden. Diese Bedeutung überträgt sich auf die meist halbjährlichen zusammenfassenden Ankündigungen der Sendeanstalten, die so in den Funkzeitschriften auftauchen. Erst allmählich wird der Programmbegriff von der Bezeichnung des Vorhabens auf das Angebot selbst übertragen.[5] Dass sich diese zweite Bedeutung erst später herauskristallisierte, lag mit Sicherheit an der Flüchtigkeit des Rundfunkangebots und seiner fehlenden Sichtbarkeit. Heute stehen beide Bedeu­tungen nebeneinander.

"Das Programm ist Ankündigung und zugleich das Produkt selbst, es ist damit ein Versprechen und die Einlösung des Versprechens. Das Programm stellt sich als Werbung und Beworbenes dar, als etwas Anwesendes und zugleich Abwesendes. Aus dieser Ambi­valenz von Versprechen und Erfüllung zieht das Fernsehen wesentliche Momente seiner Faszination."[6]

Der Anteil der "Verkündigungstexte" am TV-Programm ist seit Einführung des Mediums Fernsehen kontinuierlich gestiegen. Millionen von kleinen Programmvorschauen, sogenannte "Trailer", haben sich seit Mitte der 80er Jahre in und zwischen den Fernsehsendungen eingenistet, welche als struktu­rierende Elemente unentwegt versprechen, dass die Zukunft noch viel atemberaubender, prickelnder und faszinierender sein wird, als die ohnehin schon spannungsgeladene, heitere, schöne Gegenwart. Mit dieser "Trailerisierung" des Programms wird auch das TV-Design immer mehr zur Erzeugung von Versprechen genutzt, die nicht mehr auf die Befriedigung durch ein Programm bzw. eine Sendung abzielen, sondern im Versprechen sich bereits selbst erfüllen. Design ist zum zentralen Problem der Oberfläche und damit auch der Oberflächlichkeit des Fernsehens geworden.[7]

Das scheinbar Marginale wird mit großem Aufwand produziert. Denn der Trailer ist nicht nur das "Produkt eines technischen Quantensprungs innerhalb der Fernsehproduk­tion",[8] er steht in einer wechselseitigen Beziehung zur Entwicklung der elektronischen Bildbearbeitung. Mit dem Trailer haben Computergrafiken und nonlineare Schnitt­systeme Einzug in die Fernsehproduktion gehalten und damit die Ästhetik des Gesamt­programms nachhaltig beeinflusst.

Joan Kristin Bleicher sieht daher in Trailern "Mikrokosmen der Fernsehästhetik"[9], da sich in dieser besonderen Form der Eigenwerbung grundlegende Programmkonzeptionen der Fernsehanstalten niederschlagen. Die im Rahmen dieser Arbeit vorgelegte Analyse der "Trailerkultur"[10] kann somit einen Beitrag zur Fernsehgeschichts­schreibung leisten, denn die Formen der Programmwerbung fungieren als Detektoren für allgemeine Veränderungen des Mediensystems.[11]

An der Entwicklung des Fernsehtrailers lässt sich der Wandel des Fernsehens selbst ablesen. Dies verdeutlicht die 1950 von Martin Kunath geäußerte Feststellung zur Programmankündigung im Rundfunk: "Es ist unangebracht, uns die 'köstliche Stimme' des Tenors X anzukündigen. Entweder empfinden wir sie als köstlich, dann bedarf es der vorwegnehmenden Feststellung vom Mikrofon her nicht. Oder wir sind anderer Meinung, dann ändert daran auch die Anpreisung nichts. [...] Der Rundfunk ist kein Kramladen, der seine Ware anpreisen muß."[12] Gegenüber dieser heute naiv anmuten­den Haltung scheint der Fernsehtrailer mittlerweile nur einem Ziel zu dienen: "Design und Marketing müssen es schaffen, dass der 'Kunde' auf die in den Trailern und Logos unablässig über den Bildschirm flimmernden Markenzeichen so verlässlich reagiert wie die berühmten Pawlowschen Hunde auf die präsentierten Reize."[13]

Nachdem mit der Marktöffnung durch Privatsender die Bedeutung der Eigenwerbung zunehmend erkannt wurde, hat die Programmpräsentation in den letzten 15 Jahren eine rasante Entwicklung genommen. Mit der Ablösung der Programmansage durch Trailer haben sich die unterschiedlichsten Trailerarten und -formen entwickelt, die sich qualitativ durchaus mit Kinotrailern messen können. Die Bedeutung des Trailers wird bereits deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass der Mediawert der für Trailer verwendeten Sendezeit bei SAT.1 im Jahr 2001 ca. 200 Mio. Euro betrug.[14] Um so mehr irritiert es, dass bei den meisten TV-Sendern der Einsatz von Promotion-Spots noch immer eine Bauchentscheidung ist.[15]

"Nichts ist einfacher, als Marketing für Fernsehsender zu machen. Das Produkt kommt frei ins Haus und kostet nichts (hat man die Gebühren einmal bezahlt). Viel muss Marketing da nicht bewirken. [...] 
Nichts ist schwerer, als Marketing für Fernsehsender zu machen. Wenn jemand sich überlegt, beim nächsten Mal ein anderes Rasierwasser zu kaufen, macht er das wahr­scheinlich frühestens, wenn die alte Flasche leer ist. Wenn er sich überlegt, einen anderen Sender sehen zu wollen, schaltet er gleich um."[16]

Diese Extreme bieten eine anschauliche Beschreibung der vorherrschenden Vorstellungen von der Bedeutung des Fernsehmarketings und damit der "On-Air-Promotion", wie die TV-Eigenwerbung in der Marketing-Terminologie bezeichnet wird.[17]

An die Elemente der On-Air-Promotion sind im Hinblick auf die beworbenen Produkte, bei denen der Verbraucher in jeder Sekunde einen Systemwechsel vornehmen kann, daher auch andere Anforderungen zu stellen als an den Werbespot, der seine "ästhetische Verwandtschaft" mit dem TV-Trailer nicht verbergen kann.

Somit erschließt die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Trailer im Spannungsverhältnis von Werbung und Programm ein interdisziplinäres Themengebiet, was auch die Gliederung dieser Arbeit verdeutlicht.

 1.2. Aufbau der Arbeit

 


[1] Wystrichowski, Cornelia: Der Look muss stimmen. Eigenwerbung und Design sind für Sender immer wichtiger. In: Neue Westfälische vom 1.3.2000, S. 17.
[2] Vgl. Ehler, Wilhelm: Ansage und Ansager. In: Rufer und Hörer, 2. Jg. 1932, Heft 6, S. 268. Vgl. Bleicher, Joan Kristin: Geschichte, Formen und Funktionen der Fernsehansage. In: Hickethier/Dies. (Hrsg.): Trailer, Teaser, Appetizer. Zu Ästhetik und Design der Programmverbindungen im Fernsehen. Hamburg 1997, S. 194f.
[3] Allgemeine deutsche Real-Enzyklopädie für die gebildeten Stände. 8. Aufl. 1835, S. 881.
[4] Die Reichsfilmkammer legte per Erlass vom 1.9.1934 folgende Programmabfolge fest: Wochen­schau, Kulturfilm, Kurzfilm und Hauptfilm. Vgl. dazu Mohrmann, Heinz: Aufbau und neuere Entwicklung des Filmtheatergewerbes. Berlin 1935.
[5] Vgl. Hickethier, Knut: Apparat – Dispositiv – Programm. Skizze einer Programmtheorie am Beispiel des Fernsehens. In: Ders.; Zielinski, Siegfried (Hrsg.): Medien/Kultur. Schnittstellen zwischen Medienwissenschaft, Medienpraxis und gesellschaftlicher Kommunikation. Berlin 1991, S. 421-447.
[6] Hickethier, Knut: "Bleiben Sie dran!" Programmverbindungen und Programm – Zum Entstehen einer Ästhetik des Übergangs im Fernsehen. In: Ders./Bleicher 1997, S. 19.
[7] Vgl. Hickethier, Knut; Bleicher, Joan: Fernsehdesign oder Die Büchse der Pandora. In: Ders./Dies. 1997, S. 8.
[8] Hickethier, Knut: Fernsehästhetik. Kunst im Programm oder Programmkunst? In: Paech, Joachim (Hrsg.): Film, Fernsehen, Video und die Künste. Strategien der Intermedialität. Stuttgart, Weimar 1994, S. 210.
[9] Vgl. Bleicher, Joan Kristin: Autopromotion. Trailer als Mikrokosmen der Fernsehästhetik. In: epd / Kirche und Rundfunk, Nr. 31/1994, S. 3-6.
[10] Bleicher, Joan Kristin: Aspekte der Trailerkultur. Programmverbindungen als Schnittstellen zwischen Planungs-Strategien und Fernseh-Ästhetik. In: Kreuzer, Helmut; Schanze, Helmut (Hrsg.): »Bausteine III«. Beiträge zur Ästhetik, Pragmatik und Geschichte der Bildschirmmedien. (Arbeitsheft Bildschirmmedien, Nr. 50.) Siegen 1994, S. 46.
[11] Vgl. Bleicher, Joan Kristin: Erlebnispark Fernsehen. Senderdesign und Programmwerbung der neunziger Jahre. In: Zurstiege, Guido; Schmidt, Siegfried J. (Hrsg.): Werbung, Mode und Design. Wiesbaden 2001, S. 163.
[12] Kunath, Martin: Verfehlte Ansagen. In: Rufer und Hörer, 5. Jg. 1950/51, Heft 2, S. 72f.
[13] Seifert, Heribert: Gnadenlos kreativ. Bei den privaten Fernsehsendern bestimmen die Designer zunehmend das Programm. In: Das Sonntagsblatt vom 7.7.1995. Zitiert nach: Sarholz, Karin; Jakobs, Peter; Wodtke, Ralf: WDR-Promotion. Arbeitspapier der Präsentations-Redaktion Fernsehen. Köln, Oktober 1996, S. 5.
[14] Vgl. Interview mit Petra Füller-Seibel, Client Service & Product Management, SevenSenses Berlin, vom 20.10.2001. Zitiert in: Tiemann, Karsten: Die Veränderung und Aufgaben der On-Air-Promotion im deutschen Fernsehen unter besonderer Beobachtung der Entstehung der Weihnachts­kampagne 2001 von Sat.1. Diplomarbeit, Hochschule Mittweida 2002, S. 55.
[15] Hahndorf, Stefan: Alles unter Kontrolle. Planung und Optimierung der On-Air-Promotion mit PIN-Daten. In: Media Spectrum, Nr. 3/1998, S. 18-20.
[16] Niggemeier, Stefan: Profilierung um jeden Preis. In: Agenda, Nr. 30, Sept./Okt. 1997, S. 10.
[17] Vgl. Ferguson, Douglas A.; Eastman, Susan Tyler; Klein, Robert A.: Marketing the Media: Scope and Goals. In: Eastman, Susan Tyler; Ferguson, Douglas A.; Klein, Robert A. (Eds.): Promotion and Marketing for Broadcasting, Cable, and the Web. 4th ed. Boston (Mass.) 2002, S. 1ff.

 



20.11.03 tt@udk-berlin.de