MediaScene, Nr. 6/1999, S. 19-25
 

It's not important what you do, it's important what they think you do!

Strategien des TV-Designs

"Visuellen Infomüll", so bezeichnet die Jury des Art Directors Club (ADC) die 148 Einsendungen in den Kategorien TV-Design und Fernsehtrailer anlässlich seines diesjährigen Wettbewerbs. Weil mit vielen Stil-Mitteln nur gespielt wird, Klarheit, Linie und vor allem gute Ideen aber fehlen, verlieh der ADC in Berlin keinen Preis für die On-Air-Promotion der TV-Sender.
Ganz anders hingegen verlief die Preisverleihung der Eyes & Ears Awards '99 in München. In 19 Kategorien vergab die "Europäische Vereinigung für Design, Promotion und Marketing der audiovisuellen Medien" Auszeichnungen für bestes Corporate Design On Air, beste Sendeopener, bestes Set-Design, beste Station ID's, bestes Audio Design & Branding, beste Programm-Promotion-Kampagne On Air, beste integrierte Programm-Promotion-Kampagne in TV, Radio, Print, Multimedia etc.
Eine solche Ausdifferenzierung wird bei Fernsehpreisen üblicherweise durchgeführt, damit auch jede Sendeanstalt, jeder verdienstvolle Medienakteur den ihm "proportional zustehenden" Preis erhält. Wer dies auch bei der Münchener Veranstaltung des Eyes & Ears of Europe vermutet, der wird jedoch nicht dem immer wichtiger werdenden Genre gerecht, das um Trailer, Teaser, Logos und Jingles herum entstanden ist. Hinter diesen Schlagworten verbergen sich sehr unterschiedliche Marketingstrategien mit den dazugehörigen Instrumenten, die ich im Folgenden beleuchten möchte.

On-Air-Promotion

Während früher das Fernsehdesign eine Angelegenheit der hauseigenen Grafik-Abteilung war (bei einigen öffentlich-rechtlichen Anstalten ist dies heute noch immer so), zählt heute Fernsehdesign zu den Aufgaben der Marketing-Abteilung oder - um es genauer zu sagen - der On-Air-Promotion.
Diese Verschiebung verrückt den Blickwinkel auf die einzelnen bewegten Design-Elemente, die oft nur wenige Sekunden lang sind. Hat man bisher TV-Design vor allem unter ästhetischen Gesichtspunkten betrachtet, rückt jetzt die Funktionsorientierung der winzigen Programmpartikel in den Mittelpunkt.
Dies zeigt auch die mit 300 TV-Designern und Marketingfachleuten aus acht europäischen Ländern gut besuchte Eyes & Ears Conference in Köln. Zwei Tage lang hat man Fernsehsender, wie jedes andere ganz normale Konsumprodukt, als Marke betrachtet. Weil das Medium selbst (on air) die Vermarktung trägt, bestehen allerdings andere (vielfältigere?) Vermarktungsmöglichkeiten. Über diese wurde ausführlich diskutiert.
Dass die TV-Verpackung - im Französischen viel schöner als »Habillage« bezeichnet - immer wichtiger wird, darüber sind sich die Diskutanten schnell einig gewesen. Hauptaufgabe des TV-Designs ist heute, eine klare Identifikation und Senderkennung zu schaffen. Dies geschieht einerseits über das Branding (durch Werbejingles, Station ID's etc.) und andererseits über die Programm-Promotion (Trailer, Teaser etc.); wobei letzteres zu den Hauptaufgaben und besonderen Herausforderungen der TV-Designer gehört, so Marcel Mohaupt, Leiter des PRO 7-Marketing, deren Promotion weniger image- denn "produktdriven" ist.

Image-Promotion

"Letztendlich geht es nicht um die Information, die wir vermitteln. Es geht um das Gefühl, dem Zuschauer zu vermitteln, dass er informiert sei", sagt Viktor Worms, Hauptabteilungsleiter Show beim ZDF und damit zuständig für das Eurovisions-Erfolgsformat "Wetten dass?".Getreu dem Motto "It's not important what you do, it's important what they think you do" lässt sich die Aufgabe der Image-Promotion beschreiben.
Ein kleines aber sehr variantenreich eingesetztes Mittel zum Imagetransfer stellen dabei die dreisekündigen Werbeopener dar. Als 1997 der europäische TV-Marktführer RTL mit Großaufnahmen von Gesichtern (zumeist sinnliche Frauengesichter mit vielversprechenden Blicken) seine Werbeunterbrechungen kennzeichnet, ziehen PRO 7, SAT.1, SWR, VOX, ZDF und seit neuem auch der Stadtsender TV BERLIN nach und versuchen, durch Emotionalität den Rezeptionsbruch zur Werbung vorzubereiten.
Dass genau diese Anspracheform vom ADC kritisiert wird (siehe oben), zeigt, wie groß der Interpretationsspielraum ist und wie wenig objektivierbare Kriterien für die qualitative Beurteilung von TV-Design vorhanden sind. Das Beispiel verdeutlicht aber auch das Hauptargument der Kritiker, wie beispielsweise Heike Sperling, die selbst als Creative Director für RTL und VOX tätig war: "Das deutsche TV-Design unterscheidet sich von Sender zu Sender, von Sendung zu Sendung, nur unwesentlich."
Da einige Fernsehanstalten ihre On-Air-Promotion-Abteilungen ausgliedern (outsourcen), können diese, wie z.B. die ehemalige RTL-On-Air-Promotion unter dem Agenturnamen "house of promotion", für mehrere Sender (TV BERLIN, DW-TV, RTL) tätig sein. Auch die von dem Briten Neville Brody mitgegründete Agentur DMC zählt so unterschiedliche Fernsehsender wie ARD, ORF, PREMIERE, TM3, VIVA und H.O.T. zu seinen Kunden. Es stellt sich die Frage, inwieweit ein Design-Team den gestalterischen Anforderungen so unterschiedlicher Sender gerecht werden kann.
Stellt man auf die technische Ebene ab, so kann der Druck, durch Innovationen zu glänzen, dazu führen, dass die neueste Grafik-Software, wenn auch von verschiedenen Designern eingesetzt, zu ähnlichen Effekten führt.
Schließlich darf man ferner nicht außer acht lassen, dass viel voneinander kopiert bzw. viel von den Privaten gelernt wurde, wie die Leiterin der WDR-Präsentationsredaktion, Karin Sarholz, es in Köln formuliert.

Programm-Promotion

Die Kunst der Programm-Promotion besteht vor allem in der Abstraktion eines Inhalts, in der Komprimierung eines 90minütigen Spielfilm auf 15 oder 30 Sekunden beispielsweise. Diese Programmvorschauen - auch allgemein »Trailer« genannt - umfassen mittlerweile selbst bei kleinen Sendern wie DW-TV ein Sendevolumen von 1 1/2 Stunden täglich. Bei den Privaten in der Regel um Werbeblöcke plaziert, dienen Trailer dazu, neue Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und die Einschaltquote in den Werbepausen nicht absinken zu lassen. In der Regel funktioniert dies auch, wie Untersuchungen zeigen.
Dienen An- und Abmoderationen, wie sie heute kaum noch zu finden sind, zur Hin- und Wegführung der Zuschauer, bieten Abspänne eine Ausleitung aus einer Sendung an, die offenbar der Neigung des Zuschauers entspricht, nach dem Ende einer Sendung die Wahrnehmung zu dezentrieren, erzeugt die Trailerisierung der Programmabläufe einen Austausch der Aufmerksamkeiten.
Dieses heutige Verständnis von TV-Design als "ein Design zur Verhinderung des Zappens," wie es Albrecht Ade, Direktor der Filmakademie Baden-Württemberg, auf den Punkt bringt, hat dazu geführt, dass öffentlich-rechtliche Programmmacher die ehemals unliebsamen Werbeunterbrechungen förmlich herbeisehnen. So beklagt Viktor Worms vom ZDF die mangelnde Kampagnenfähigkeit der öffentlich-rechtlichen Anstalten aufgrund der wenigen Werbeunterbrechungen.
In der Tat spielen die TV-Trailer verbunden mit den Werbespots eine wichtige Rolle, wenn es um die Herausbildung eines Programmrhythmus geht. Trailer sind komprimiert auf Höhepunkte, auf ein Assoziationsgefüge, in dem Geschehen angedeutet, Konflikte skizziert werden. Da oft mehrere Trailer hintereinander montiert sind, entsteht in der sensuellen Wahrnehmung des Zuschauers eine Beschleunigung des Programmflusses (flow of broadcasting).
Ein Wechsel von eher narrativen Erzählformen (wie in Spielfilmen, Nachrichtensendungen, Dokumentationen) und spektakelhaften Attraktionsmontagen (wie in Werbespots, Trailern, Logo-Animationen) scheinen eine dem Zuschauer eingeschriebene Rezeptionsform zu sein. Dies ist im übrigen ein Aspekt, der von dem Mediensemiotiker Hans-Jürgen Wulff als eine Motivation für das Zapping angesehen wird.
Die Programm-Strukturanalysen von Udo-Michael Krüger haben denn auch gezeigt, dass die Programmdynamik, d.h. der Wechsel von redaktionellen Programmeinheiten, sich in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt hat. Hierin kann man eine Reaktion der Programm- und On-Air-Promotion-Planer auf die Fernseh-Nutzungsgewohnheiten erkennen.
Bewährte Mittel zur Erhöhung des Programmflusses sind insbesondere Abspanntrailer, bei denen neben dem Sendungsabspann parallel ein Trailer eingeblendet wird, und über Credits gesprochene "Voice Over", die Programmübergänge immer unkenntlicher machen. In einer solchen Verknotung der Programmlinien steckt das Idealbild eines schleichenden Übergangs von einer ästhetischen Filmwelt in die andere. Werkeröffnungs- und -beendigungspartikel, die in der traditionellen werkbezogenen Ästhetik den fiktionalen Raum auf- und abschließen, werden dadurch entfunktionalisiert.

Problemlösung Promotion

Die Vision eines "permanenten Programms", wie es der Hörspielpraktiker und -theoretiker Heinz Schwitzke 1963 bezeichnet, scheint Wirklichkeit geworden zu sein. Ein Grund mehr, weshalb der Waren- und Markencharakter der Fernsehsender immer mehr in den Vordergrund rückt, die ästhetische Autonomie des einzelnen Werkes jedoch verloren geht.
In der Praxis führen diese Überlegungen zu individuell immer wieder neu zu lösenden Problemen. So kann ein Werbejingle nur dann einen nennenswerten Beitrag zur Profilierung der Sendermarke liefern, wenn er prägnant ist, wie z.B. die jetzigen knallgelben PRO 7-Werbeopener. Ein Sender, der sich an der Schnittstelle zum Werbeblock als attraktive Sendermarke präsentiert, setzt gleichzeitig ein Signal zum Wegzappen, denn er verzichtet dabei auf ein hohes Involvment, das den Zuschauer unbemerkt in die Werbung führt.
Ein ähnliches strategisches Dilemma drückt das Motto »Kontinuität und/oder Veränderung« der Eyes & Ears Conference '99 aus. Diese Begriffe markieren sehr gut den Zwiespalt, in dem die TV-Designer sich befinden. Einerseits darf man nicht zu viel Neues wagen, muss Kontinuität gewährleistet sein, damit die Stammzuschauer "dabei" bleiben, andererseits soll durch gezielte Veränderung neues Publikum angesprochen, sollen Marktanteile erhöht werden. Dies ist sicher einer der Gründe, warum etablierte Anbieter, wie z.B. RTL und ORF, ihr Design in den letzten Jahren nur geringfügig modifiziert haben.
Hinzu kommt, dass die Inhalte zunehmend austauschbar werden, weshalb dem Design die entscheidende Aufgabe zukommt, die TV-Programme voneinander unterscheidbar zu machen. Solange die TV-Anstalten immer mehr austauschbarere (Kauf-)Programme anbieten, sind Trailer das einzige Instrument, mit dem man das Markenprofil schärfen kann, meint Markus Hanzer von der Agentur DMC.
Diese Einsicht scheint sich auch in den Investitionen niederzuschlagen. Man schätzt die Ausgaben für TV-Design branchenweit insgesamt auf eine stolze dreistellige Millionensumme oder fast zehn Prozent der gesamten Fernsehproduktionskosten. Weshalb Marcel Mohaupt nicht zu Unrecht die Frage stellt, ob wir in Europa nicht einen Zustand wie in den USA anstreben müssen, in denen 40% der Gesamtausgaben für ein Produkt in Kommunikation und Marketing gesteckt werden.
Insgesamt ist also auch für die Zukunft eine zunehmende Verschiebung von Angekündigtem zur Ankündigung selbst zu erwarten, wobei man aufpassen muss, dass die Ambivalenz von Versprechen und Erfüllung erhalten bleibt. Darin sieht der Medienwissenschaftler Knut Hickethier, der sich im deutschsprachigen Raum als einer der wenigen mit diesem Thema beschäftigt, einen wesentlichen Moment der Faszination des Fernsehens.

Cross-Promotion

Das neben der Programm-Promotion insbesondere für die Öffentlich-Rechtlichen noch wichtigere Marketing-Instrument ist die Cross-Promotion, so Viktor Worms. Cross-Promotion ist die Bewerbung eines Programms X in einem anderen Programm Y eines bestimmten Senders Z oder die Bewerbung eines Programms X eines bestimmten Senders Z in einem anderen Medium Q.
Hans Mahr, RTL-Informationsdirektor, hat es während der Kölner Konferenz so formuliert: "Wenn die TV-Kameras samstags während der Boxübertragung Niki Lauda mit seiner Kappe einfangen, weiß man: heute Boxen, morgen Formel 1 auf RTL." Auf diese Weise erzielt RTL Mahrs Angaben zufolge in einer Woche 20 bis 25 Millionen Kontakte mit dem Thema Formel 1. Das ist mehr als man jemals in Printmedien erreichen kann.
Die unter dem Wettbewerbsdruck zunehmende Cross-Promotion führt folglich zwangsläufig zu einer wachsenden Selbstreferentialität des Fernsehens. Neue Sendungsformate, wie »TV Total« oder »Talk Talk Talk« scheinen nur zur Auto-Promotion dieses Mediums zu dienen, das ein Außerhalb der Fernsehrealität verschleiern möchte. Verbirgt sich hier etwa eine wachsende Angst vor der Interaktivität des Internets?
Die Konvergenz unterschiedlicher Mediennutzungseinheiten und der Prozess des europäischen Zusammenwachsens bringen auch für das TV-Design fundamentale Veränderungen mit sich, so der Tenor während der Eyes & Ears Conference.
Doch der Kongress hat gezeigt, dass insbesondere deutsche TV-Anstalten ihre zukünftige Rolle als Gatekeeper noch nicht erkannt haben. Sie sehen sich immer noch als Anbieter von Programminhalten und nicht, wie es die englische BBC vormacht, als Infrastruktur-Provider. Viele Fernsehanstalten müssen hier noch lernen, dass sie eine Portalfunktion zu Inhalten - seien sie über das Internet, TV digital, analog, terrestrisch oder via Satellit verbreitet - einzunehmen haben, wollen sie auch zukünftig ihre hart umkämpfte Marktposition behalten.
Im Internet nur eine unter mehreren Promotion-Plattformen zu sehen, wie dies der "TV-Dinosaurier" und Ex-RTL-Chef Helmut Thoma verlautbart, kann bei der rasanten Entwicklung im Internet schwerwiegende Folgen haben. Bisher jedenfalls hat die Mehrheit der TV-Veranstalter die Möglichkeiten, die Web-Casting heute bereits bietet, noch nicht erkannt.
Da kann man insbesondere von der Kinofilm-Vermarktung noch viel lernen. Zu "Star Wars - Episode I" sind die Zuschauer nur wegen eines 2 1/2minütigen Trailers in die Kinos geströmt. Über 10 Millionen Mal wurde der Trailer im Internet heruntergeladen. Das ist mehr als jemals irgendeine Videosequenz erzielt hat.
Obwohl "Lucasfilm" über die explosionsartige Verbreitung im Internet mehr als erfreut sein müßte, hat man das FBI eingeschaltet, um die Verbreitung des Trailers auf Fan-Websites (Raubkopien im Netz) zu unterbinden. George Lucas befürchtet, dass die Menschen nicht mehr ins Kino gehen, wenn sie im Netz ein paar Bilder vom Film sehen.
Offensichtlich hat sich herumgesprochen, dass Trailer in der Regel viel unterhaltsamer sind als die betrailerten Filme, weshalb »Trailervision« - von Yahoo vor kurzem zur Website der Woche gekürt - sehr erfolgreich Trailer von Filmen zeigt, die gar nicht existieren.

Eine Frage der Zeit also nur noch, bis auch die TV-Zuschauer sich mit der permanenten Vorlusterzeugung begnügen, die Ankündigung nicht mehr des Angekündigten bedarf, weil die Versprechenssteigerung im Gewand des Designs selbst zum alleinigen Programminhalt geworden ist.
Insofern dürfte Knut Hickethiers Vision wahr werden: "TV-Design wird immer mehr zur Erzeugung von Versprechen genutzt, die nicht mehr auf eine Erfüllung durch Produkte abzielen, sondern im Versprechen sich selbst bereits erfüllen."

Tristan Thielmann




10.09.01 tt@udk-berlin.de