Horizont, Nr. 38/2003, S. 37
 

Das Erste bestimmt das Tempo

Die 8. Eyes & Ears Konferenz verbreitet Zuversicht / ARD geht Ende September mit neuem Logo auf Sendung 

Das Tal der Tränen ist durchschritten. TV-Designer können aufatmen. Allen voran entdecken die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender das TV-Design als Brand-Value und vergeben lukrative Aufträge. Während die Privatsender weitgehend auf Bewährtes setzen, kommt nun die ARD, die noch vor ein paar Jahren nichts von TV-Marketing wissen wollte, auf Touren und erneuert den eigenen Auftritt und den ihrer Töchter.

 

Für das überarbeitete ARD-Logo, das ab dem 27. September on Air gehen soll, zeichnet sich die Agentur DMC verantwortlich. Zugleich tüfteln die Hamburger Designer von DMC an einer neuen ARD-Markenfamilie. Und die  Münchener Agentur "Velvet" arbeitet an dem für Anfang 2004 vorgesehenen Arte-Relaunch. Selbst MDR und 3sat leisten sich für einen Etat im mittleren sechsstelligen Bereich ein neues Outfit.

 

Noch sind die Budgets nicht gerade üppig, aber die TV-Designer sind optimistisch. Dies machte die am Freitag in Köln zu Ende gegangene Eyes & Ears Conference deutlich. Verbandspräsident Manfred Becker resümiert: "Die Not bestimmt den Trend und das heißt, dass für kleines Geld häufig ein flächigeres Grafikdesign produziert wird, wie man z.B. bei 3sat erkennen kann."

Die Zeiten, in denen im Fernsehen noch mit dreidimensionalen Formen gespielt wurde, sind vorbei. Eine neue Sachlichkeit hat Einzug gehalten. Dies zeigt auch das Redesign des WDR-Fernsehens, das seit Montag die On-Air-Promotion und alle NRW-Landesprogramme prägt.

Ein Team von 50 Gestaltern hat innerhalb von 6 Monaten inhouse einen Gestaltungsprozess in Gang gesetzt, der bitter nötig war, wie die Leiterin der WDR-Präsentationsredaktion Karin Sarholz bestätigt: "Wir waren heillos überfrachtet mit einer Designtapete. Bei uns flogen die Logos nur so herum. Mit dem Redesign will sich das WDR-Fernsehen auf traditionelle Werte zurückbesinnen."

 

Nur so viel Design wie nötig lautet daher die Maxime des Grafikdesign-Leiters Michael Freiwald: "Wie ein Mensch sollte der WDR am Gang und an der Haltung erkannt werden und nicht an den Klamotten, die er sich überstreift, die er irgendwo gekauft hat, um in der Öffentlichkeit aufzufallen. Ein solch pubertäres Verhalten ist für einen Sender in Ordnung, der gerade erst 16 geworden ist. Das passt nicht zum WDR."

Seiner Maxime folgende soll im WDR-Fernsehen den Inhalten wieder mehr Raum gegeben werden, weshalb man in der Sendungs- und Senderverpackung Realbildern und dem handgemachten Sound der WDR-eigenen Rundfunkorchester, -chor und Big Band vertraut.

Die neuen Station-IDs und Sendungsvorspänne, die allesamt von Kanzlerbungalow-Regisseur Marc Comes gedreht wurden, zeigen Bilder der Region ohne jeden grafischen Schnickschnack.

 

In den Augen des ehemaligen RTL-Art Directors Manfred Becker ist das WDR-Redesign erfrischend positiv, weil es im Gegensatz zu vielen anderen Sendern, Landschaften in den Mittelpunkt rückt. Sarholz und Freiwald hält er für Spitzenkräfte, die allerdings aufgrund der WDR-internen Strukturen zu viel Rücksicht auf die Redaktionen nehmen müssen.

 

Allerdings entdeckt der an der Filmakademie Baden-Württemberg lehrende Prof. Becker in den neuen räumlicher und transparenter wirkenden WDR-Studiodesigns viele bekannte Elemente, was seiner Ansicht nach aber auch nicht verwundert: "Früher waren die Grundfarben der Studiodekorationen hellblau und hellgrau. Da heute alle Fernsehsender in ihrem Erscheinungsbild wärmer wirken wollen, wählen sie Gelb-, Orange- und Holztöne, weshalb sich mittlerweile zwangsläufig alle Studiodesigns an den RTL-Standard angepasst haben."

 

Die RTL-Gestaltung war einmal wegweisend. Doch mittlerweile befindet sich die RTL-Designtochter in einer kreativen Krise. "RTL hat nicht mehr die Prägnanz wie früher", moniert SevenSenses-Geschäftsführer Markus Schmidt, "allerdings lässt sich das Konzept sicher noch eine Weile fortführen." Als ob es Schmidt geahnt hätte, produzieren die Kölner gerade wieder eine neue Staffel der RTL-Faces.

Dies passt in den von ihm beobachteten Trend, dass man sich im TV-Design zur Zeit mehr mit Details beschäftigt. "Alles was stylisch ist, scheint im Verruf zu sein. Die Entscheider in den Fernsehsendern wollen nur noch 'Feel-Good-TV'."

Schmidt weiß, wovon er spricht, denn die ProSiebenSat.1 Media-Tochter SevenSenses hat nicht nur "Starsearch" und "Popstars", sondern auch "Die Deutsche Stimme" im ZDF visuell gestaltet.

SevenSenses ist ebenfalls für den aktuellen ProSieben-Claim "We love to entertain you" kreativ verantwortlich, mit dem der Privatsender noch wärmer, röter und weiblicher anmuten will.

 

            

 

Seit Montag dieser Woche ist von der Unterföhringer Designschmiede zudem das erste größere N24-Redesign auf dem Bildschirm zu bewundern. Das N24-Grafikpacket bestand zuletzt aus über 1000 Bestandteilen, die von SevenSenses mit Hilfe ein modulares Design-System auf nur noch 100 Elemente reduziert wurden. Hierbei handelt es sich zumeist um beschriftete Templates, die im Gegensatz zu Keys und Fills in Live-Formaten sofort einsetzbar sind.

Mit dem neuen N24-Logo hat man sich vom 3D-Look verabschiedet und eine neue Farbcodierung eingeführt, die den Nachrichten- und Wirtschaftssender auch als Dokumentationskanal branden soll.

SevenSenses-Geschäftsführer Schmidt: "Durch die hohen Weißanteile und den häufigen Einsatz von Orange, das eine hohe Suggestivkraft besitzt, ist das Erscheinungsbild frischer und der Nachrichtensender damit ganz gegensätzlich zum staatstragenden CNN positioniert."

Im Nachrichtenstudio wird z.B. seit dem 15. September permanent Orange als Hintergrundfarbe eingesetzt und nicht mehr wie zuvor die Farbe der Dekoration mit der Tageszeit gewechselt. "Dadurch ist der gesamte Sender selbstähnlicher geworden", so Schmidt. Eine neue schmalere Typographie, soll zudem die Lesbarkeit der vielfältigen Schrifteinblendungen erhöhen.

 

Der Wandel des Fernsehbildschirms zur Multi-Screen-Oberfläche und damit die Dechiffrierung der Bild- und Textinformation ein großes Thema in der Branche - das zeigte sich auf der Kölner Tagung. Während VivaPlus auf der Eyes & Ears Conference präsentierte, wie man einen Bildschirm mit bis zu 12 Laufbändern gestalterisch überfrachten kann, will der MDR-Chefdesigner Klaus W. Schuntermann mit seinem neuen Design zeigen, "wie hell, aufgeräumt und leer ein Bild wirken kann. Nicht geschönte Models, sondern sympathische Personen aus dem Sendegebiet, die auf der Straße gecastet wurden, prägen das neue MDR-Erscheinungsbild, das zum 1. Oktober das bereits 11 Jahre alte Design ablösen wird."

Drei geschwungene, sich wechselseitig umschlingende Linien sind die visuelle Metapher des neuen MDR-Designs. Sie stehen für die drei Bundesländer Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt.

 

"Farbig wie RTL, sachlich wie die ARD und emotional wie ProSieben - dies zusammengemixt ergibt den werblichen Auftritt", erläutert Creative Director Schuntermann. Der MDR-Chefdesigner findet allerdings sein Logo dem des WDR zu ähnlich. Ihm selbst gefällt der von der Berliner Agentur "Melle,Pufe" stammende Entwurf nicht, doch er sei ihm wie ein adoptiertes Kind zugefallen: "Am Anfang habe ich versucht, es wieder abzugeben, jetzt geben wir ihm zu essen und fangen an, es zu lieben."

 

Auch der Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) feilt an seinem Auftritt. Bis Anfang 2004 wird das Fernsehprogramm in einem Übergangsdesign ausgestrahlt. Wie DMC-Geschäftsführerin Ulrike Krieg andeutet, wird das RBB-Design im Fernsehen weniger flächig werden als dies derzeit Printpublikationen Nahe legen (siehe Bild). Damit dürfte der RBB, ähnlich wie WDR und MDR, im Trend zu einem reduzierten TV-Design liegen, dem auch der ARD-Relaunch folgt.

 

Mit dem ARD-Redesign soll der Wortzug "Das Erste" prägnanter in den Vordergrund rücken an den die Zahl "1" als Trademark-Zeichen angehängt wird. Neben der Wortmarke soll es aber auch Logoanimationen und Trailerverpackungen geben, die mit der animierten mathematischen Funktion "Das Erste" hoch "1" die Potenz der ARD versinnbildlichen sollen.

 

Da um die hochgestellte "1" ein Kreis gezogen wurde, der dem Kabel1-Logo nicht unähnlich ist, befürchtet die ARD als Revanche zur damaligen Klage gegen das Kabel1-Logo nun umgekehrt selbst verklagt zu werden. Immerhin führte dieser Rechtsstreit dazu, dass Kabel1 bis 1999 ein Notlogo ausstrahlen musste. Daher will man nach derzeitigen Planungen das überarbeitete ARD-Designpaket erst schrittweise einführen und die Reaktionen abwarten.

 

Ein Mehrstufenplan zur neuen ARD-Markenwelt sieht ferner vor, dass auch die Landesrundfunk- anstalten die hochgestellte "1" zunächst off Air, später auch on Air in ihre Markenzeichen integrieren. Es stellt sich die Frage, ob eine sicherlich notwendige gemeinsame Dachmarken- strategie aller ARD-Sender einen derartigen Aufwand rechtfertigt, schließlich bleibt 1 hoch 1 immer noch 1.


Tristan Thielmann




10.11.03 tt@udk-berlin.de