Medien-Bulletin, Nr. 10/2002, S. 64-67
 

Weiß ist die billigste Farbe!

Wie TV-Designer dem konjunkturellen Umfeld trotzen.

Während in den 90ern die TV-Sender ihr Erscheinungsbild fast jährlich veränderten und sie dies stets als Design-Revolution feierten, stand auf der diesjährigen Eyes & Ears Conference die Design-Evolution im Mittelpunkt des Geschehens.
Insgesamt rund 50 Referenten aus der Schweiz, Österreich, Spanien, Frankreich, Großbritannien, Irland, den USA und Deutschland waren am 5. und 6. September nach Köln gekommen, um anhand konkreter Projekte den aktuellen Stand und die Perspektiven des Media-Designs zu erörtern.
Die Vorzeichen für die Medienwirtschaft haben sich aufgrund der weltwirtschaftlichen Situation bekanntlich fundamental geändert. "Konzentration auf das Kerngeschäft, Optimierung der Wertschöpfungsketten, Einsparpotenziale, Rationalisierung, hartes Kostenmanagement – so lauten die Schlüsselvokabeln dieser Tage. Gerade in dieser verschärften Wettbewerbssituation sind Design, Promotion und Marketing für die audiovisuellen Medien von zentraler Bedeutung für den Erfolg von Programm- bzw. Contentanbietern in TV, Film, Radio und Internet", meint Wout Nierhoff, geschäftsführendes Vorstandsmitglied von Eyes & Ears of Europe.

Fernsehsendungen ohne Vorspann

Doch Axel Breuer von der VoodooLounge, einem Unternehmen, das seit 3 Jahren On-Air-Design und -Promotion für Fernsehsender produziert, verweist in seinem Vortrag auf das Beispiel Premiere und fragt kritisch: "Premiere hatte Budgets für On-Air-Promotion und Werbung von vielen Millionen Euro pro Jahr. Hat es etwas gebracht?"
Mit dieser rhetorischen Frage liefert Breuer überraschenderweise selbst eine Rechtfertigung für die bei VoodooLounge seit 1. August 2002 herrschende Kurzarbeit, denn die frühere Trailer-Produktionsfirma von tm3 hat mit der Umstrukturierung des Senders zu Neun Live ihren wichtigsten Kunden verloren. Der stellvertretende Neun Live-Programmdirektor Stephan Mattukat begründet dies Breuer zufolge so: "Wir senden kaum noch Trailer. Der Zuschauer schaut ohnehin nur zufällig vorbei und es ist ihm egal, ob er singende Dilettanten oder Rätselfragen über Bohren und Sägen sieht. Dem Sender ist dies ebenfalls egal. Der Zuschauer soll einfach nur anrufen. Außerdem werden kaum noch Vorspänne für Sendungen ausgestrahlt. Geplant ist sogar, dass überhaupt keine Vorspänne mehr gesendet werden. Der Grund: Während des Vorspanns ruft niemand an."
Wurde vor kurzem das TV-Design, das visuelle Gestaltungskonzept und dessen praktische Umsetzung noch wenigstens genauso wichtig wie das Programm selbst angesehen, so hat sich seit der letztjährigen Eyes & Ears Conference einiges geändert. Zwar ist das Design für einen TV-Sender immer noch das, was die Verpackung und der werbliche Auftritt für einen Markenartikel sind – nämlich das äußerlich sichtbare Signal für Qualität und Beschaffenheit des Inhalts, Garant für einen Wiedererkennungseffekt und damit Auslöser einer gewissen Treue zum Produkt und gleichzeitig Transporteur eines emotionalen Images, einer Befindlichkeit, die mit dem Produkt verbunden wird. Aber in Zeiten knapper Kassen stehen Fernsehsender vor ähnlichen Problemen wie jeder andere Markenartikel.
VoodooLounge-Geschäftsführer Breuer glaubt, dass in vielen TV-Sendern das Design noch so prominent ist, dass das Programm in den Hintergrund tritt. Daher hat man bei Tele5 eine Wiederbelebung der klassischen Programmgestaltung angestrebt und kündigt seit Sommer diesen Jahres mit den guten alten Programmtafeln neue Fernsehsendungen an. "Sie bieten zu jeder Zeit eine Übersicht über die nächsten zwei bis drei Programmschritte. Eine alte Idee, kostengünstig, einfach und für den Zuschauer nachvollziehbar", so Breuer.

Kreativität ohne Budget

Selbst beim Branchenprimus RTL Creation haben sich in den letzten Jahren die Budgets für die On-Air-Promotion und das TV-Design erheblich verringert und auch in Zukunft werden die Aufträge weniger werden. Für den Geschäftsführer von RTL Creation Manfred Becker hat daher nicht Design, sondern die Akzeptanz der Programme sowie alle Bemühungen, die Wirtschaft von der Wirksamkeit der Werbung zu überzeugen, höchste Priorität.
Er findet es richtig, dass das völlig überhöhte Preisgefüge bei Anbietung kreativer Leistungen zusammengebrochen ist. "Die meisten Kreativen sind um die 30, da sollte es kein Problem sein, sich einen neuen Job zu suchen", meint Becker, der die Krise als kreative Chance begreift, kleinere einfache Ideen zu entwickeln.
Einschränkend fügt der auch als Professor an der Filmakademie Ludwigsburg tätige Becker hinzu: "Man kann nicht unbedingt sagen, dass sich in der Krise jetzt die Guten behaupten werden. Die Gefahr ist, dass RTL, Sat.1, ZDF etc. nicht die talentiertesten Designer behalten werden, sondern aufgrund der Arbeitsverträge die schutzwürdigsten übrig bleiben, die oft nicht die kreativsten Mitarbeiter sind."
Für Wout Nierhoff geht es unter den derzeitigen konjunkturellen Vorzeichen nicht nur darum, hohe Präsentationsstandards durch Kreativität und ganzheitliche integrierte Optimierungen in Konzeption, Planung, Produktion und Distribution sicher zu stellen und auszubauen; auch die mittel- und langfristigen kommunikativen und wirtschaftlichen Chancen in Verbindung mit der weiteren Expansion audiovisueller Kommunikation dürfen nicht aus dem Augen verloren werden.
Ähnliche Befürchtungen hat QS Communications-Manager Wilfried Rütten, der beispielsweise die Entwicklung bei Bertelsmann, die sich sukzessive vom Internetgeschäft trennen wollen, für falsch hält: "Nur weil die Quartalsberichte nicht stimmen, wird auch Bertelsmann die technische Entwicklung nicht aufhalten können."

Marketing ohne Zielgruppen

Christoph Mecke, Chefdesigner von BBDO InterOne (dem früheren Kabel New Media), verblüfft in diesem Zusammenhang mit der These, dass einer der wichtigsten Gründe für die Branchenkrise das massiv veränderte Selbstverständnis der Werberezipienten sei. "Dieses veränderte Selbst- verständnis bringt die abgezirkelten Methoden des Zielgruppendenkens durcheinander", so Mecke.
Die wesentliche Funktion der Werbung in den letzten 20 Jahren war die Wettbewerbsdifferenzierung in einem Trend sich immer ähnlicher werdender, immer ununterscheidbar werdender Produkte. Emotionale Differenzierung war gerade die Strategie, die die Eigenwerbung der TV-Sender zu transportieren hatte (Sat.1 - powered by emotion!). Aber das Differenzierungsspiel auf einer kommunikativen Ebene, unabhängig vom Produkt – sprich der einzelnen Fernsehsendung – ist Mecke zufolge allmählich ausgereizt.
Der Aufwand in der On-Air-Promotion ist kontinuierlich gewachsen, um die "Eine-für-alle"-Botschaft herzustellen. In Krisenzeiten wie diesen muss daher die Passgenauigkeit in der Zielgruppenansprache sinken, denn möglichst viele müssen mit einem (kleinsten) gemeinsamen Nenner erreicht werden.
Dass den ausdifferenzierten Markenbildern immer mehr uniforme Zielgruppenansprachen gegenüber stehen, zeigt beispielsweise das neue Viva-Design.

Viva ohne Farben

Mit dem Design-Relaunch vom Januar diesen Jahres will der Kölner Musiksender nämlich erwachsener werden. Vorbei sind die Zeiten der Provokation und des Guerilla-Marketings früherer Jahre.
Das Print-Logo wird jetzt wieder mehr in Szene gesetzt. "Wir waren in punkto Farben und Logovariationen vorher sehr vielseitig, vielleicht ein bisschen zu bunt. So haben wir in manchen Trailern bis zu 52 Layer übereinandergelegt, das war kaum noch zu übertreffen", erklärt Viva Art Director Patrick Kast. Jetzt sind die Viva-Trailer mit 2 Layern aufgeräumter und nicht mehr so kleinteilig, weil das blau-gelbe Logo auf dem weißen Hintergrund mehr Ausdruck hat.
Im TV-Design war es bisher eigentlich unüblich, mit weißen Hintergründen zu arbeiten. Die Trailer, die zwischen den Videoclips platziert sind, kommen jetzt sozusagen aus der "Weiße des Raums" und verschwinden wieder in ihm. "Durch die weißen Übergänge sind wir in der Gestaltung der Trailer nicht nur flexibler, in Kombination mit dem im Sounddesign integrierten digitalen Lagerfeuer sind die Viva Station ID's auch eine Insel der Ruhe", betont Kast.
Schließlich muss man bei Viva an Übermorgen denken. Ein Logo auf weißem Hintergrund funktioniert in jedem Land und demnächst wird Viva schließlich in China und Litauen an den Start gehen.
In diesem Zusammenhang ist besonders auffällig, dass nicht nur das neue Set-Design der Arte-Nachrichten mit Weiß-Schattierungen arbeitet, auch ZDF-Senior Art Director Horst Schick erklärt die Kombination von Farben mit Weiß zum Prinzip seiner Arbeit. Es scheint sich offenbar die Erkenntnis durchzusetzen, dass Weiß die billigste Farbe ist, wie Manfred Becker anlässlich der Eyes & Ears Conference bemerkt.
Allerdings zählt Weiß leider nicht zu den Lieblingsfarben der TV-Zuschauer. Auf einer Farbklimakarte hat Andreas Heck, Absolvent der Filmakademie Baden-Württemberg, Menschen weltweit per Internet (
www.beta45.de) ihre Lieblingsfarbe wählen lassen. Dabei hat sich Blau als beliebteste Farbe herauskristallisiert.

Farben ohne Genrecodierung

Die ProSieben-Chefdesignerin Barbara Simon greift in ihrer Rede diesen Aspekt auf: "Es gibt natürlich das Problem, dass jeder seine Lieblingsfarbe hat. Unsere Designer achten daher darauf, dass wir aus dem ganzen Farbtopf schöpfen, denn unser Ziel ist es, sehr viele Farben im Programm zu haben." Simon steht der genrespezifischen Farbcodierung, dem sogenannten Colour-Coding, wie es beim ZDF eingesetzt wird, wo Grün für Sport, Rot für Serien, Blau für Information steht, ablehnend gegenüber. "Bei zwei Sendern mag es vielleicht sinnvoll gewesen sein, aber heute funktioniert das nicht mehr. Bis dass der Zuschauer dies gelernt hat, gibt es zwischenzeitlich schon ein Redesign, das die Farbzuordnung wieder ändert."
ProSieben setzt daher ganz auf die von ihnen so bezeichnete 'affektive Farbgebung'. Die Designer schöpfen dabei aus keiner vordefinierten Farbpalette, sondern haben in freier Farbauswahl eine Trailerverpackung unter Berücksichtigung der psychologischen Farbwirkung kreiert, die ein möglichst harmonisches Erscheinungsbild erzielt.
Markus Schmidt, der Geschäftsführer der für das ProSieben-Design verantwortlichen Agentur SevenSenses betont, dass jeweils zur Stimmung des Trailers intuitiv der richtige 'Packshot' ausgesucht wird. Trotz dieser Vielfarbigkeit zeigen alle durchgeführten Umfragen, dass ProSieben eindeutig mit der Farbe Rot assoziiert wird.
Dies wiederum wird vom Geschäftsführer von RTL Creation Manfred Becker bestritten. "Die Zuschauer sehen die Sieben und die ist zwar rot, aber dass sie ProSieben unmittelbar mit der Farbe Rot verbinden, das möchte ich bezweifeln."
RTL wird laut Becker auch weiterhin auf die Farben Rot, Gelb, Blau vertrauen. Eine evolutionäre Weiterentwicklung des Designs hat RTL zwar 'inhouse' vorliegen. Aus seiner Sicht ist es aber derzeit nicht notwendig, hiermit "on air" zugehen, weil der Zuschauer die Designänderungen mit Sicherheit nicht sofort bemerken wird.
Trotz Kritik im eigenen Haus war es nach Ansicht Beckers richtig, dass RTL nicht auf den Relaunch-Zug des letzten Jahres aufgesprungen ist. "Gerade in der jetzigen wirtschaftlichen Situation ist es extrem wichtig eindeutig zu sein. Allein schon so zu bleiben wie wir sind, bedeutet für RTL eine Stärkung von Eindeutigkeit. Super trendy alle zwei Jahre etwas zu verändern, das kann sich vielleicht, aber nur vielleicht, Viva leisten."

Design ohne Quantel

Gerade beim Viva-Design sieht man nach Ansicht des RTL Creation-Geschäftsführers Becker, wie sich Kostenerwägungen im "Look" niederschlagen. Fast alles im Fernsehdesign wird heute mit Adobe After Effects hergestellt, das sehr viel billiger ist als die schnellen aber teuren High-End-Finishing- und -Animationssysteme von Quantel, wie Editbox oder Hal. Die kreativen Möglichkeiten der After Effects-Software, die sich vor allem im Bereich architektonisch-räumlicher Lösungen bewegen, führen allerdings dazu, dass die neuen TV-Designs sehr viel grafischer und farbig flächiger sind, als zu den Zeiten, in denen teure Realdrehs noch gang und gäbe waren.
Dies ist Becker zufolge ein nicht zu unterschätzender Grund, warum Viva mit weißem Hintergrund und Tele5 wieder mit Programmtafeln arbeitet. Da bei den meisten Fernsehsendern auf absehbare Zeit das Geld für den Realdreh von Imagespots knapp sein wird, muss Heidi Klum wohl noch etwas länger als sonst 'on air' mit dem Zweiten besser sehen.

Nachrichten ohne Weltkugel

Obgleich eine härtere Gangart im Controlling und Kostenmanagement für vielerlei Design-Entwicklungen (-Stillstände?) verantwortlich war, ist es ausnahmsweise nicht auf Budgetgründe zurückzuführen, dass Designer Marc Ortmans bei der Gestaltung der Sat.1-Nachrichten eine Alternative zu den allseits vorhandenen Landkarten und Globen suchte, deren Symbolik das weltweite Nachrichtendesign bestimmt. Vielmehr handelt es sich um einen Trend, denn auch die Nachrichten- und Magazin-Formate Arte-info, -flash, -special,-europa und -reportage verwenden seit dem 9. September 2002 einen Vorspann ohne rotierende Weltkugel, wie das ansonsten üblich ist. Alle diese Sendungsvorspänne bestehen aus den gleichen Grundbausteinen eines Mosaiks menschlicher Gesichter. Diese von der französischen Agentur Dream On entwickelten Vorspänne versuchen die Arte-Designphilosophie umzusetzen, die Projektleiterin Barbara Schroeder wie folgt bezeichnet: "Wir haben aufs neue versucht, nicht aggressiv zu sein, Spezialeffekte möglichst einzuschränken, um die Arte-Werte Offenheit, Respekt und Wärme möglichst präsent darzustellen."

Kanzlerduell ohne Fahne

Ohne Spezialeffekte waren (leider) auch die Kanzlerduelle, über deren Inszenierungskonzept Regisseur Volker Weicker auf der Eyes & Ears Conference berichtete. Dabei mokierte er sich über die quälend lange Diskussion, die mit den am Kanzlerduell beteiligten Fernsehsendern ARD, ZDF, RTL und Sat.1 geführt wurde. Speziell die Frage, ob, wie und wo die Deutschlandfahne im Hintergrund zu sehen sein sollte, beherrschte zu seinem Leidwesen die gesamte Diskussion um das Set-Design. "Es waren Farbberater der Parteien vor Ort, die sich überlegten, wenn der Kopf von Stoiber zu lange vor dem roten Hintergrund der Deutschlandfahne zu sehen wäre, könnte es ja sein, dass in Castrop-Rauxel ein Wähler sein Kreuzchen an der falschen Stelle macht."
Darüber hinaus war Prof. Weicker von der Unprofessionalität der Medienberater überrascht. "Ich war super verblüfft, als mir von Seiten der Parteien Fragen gestellt wurden, mit denen ich niemals gerechnet hätte, wie, ob alle Kameras gleichzeitig Rotlicht hätten oder wieso im Kameraanschnitt mal der Vordere mal der Hintere der Kandidaten unscharf ist."
Kein Wunder also, dass bei derlei Sachverstand der Coaches die Kandidaten es bei den 'Kanzler-Duellen' oft genug verpassten, in die richtige Richtung zu schauen.

Ohne Ende

Insgesamt kann resümiert werden, dass auf der diesjährigen Eyes & Ears Conference nicht nur wichtige Themen und Positionen im Zusammenhang mit Design, Promotion und Marketing erörtert wurden, es ging auch ganz allgemein um Trends und Zukunftsoptionen für eine richtungsweisende Gestaltung audiovisueller Kommunikation.
Die Zukunft sieht zwar trübe aus. "Die schwierige Zeit im Bereich Promotion und Design wird mit Sicherheit noch lange andauern", so der Präsident von Eyes & Ears of Europe. Wie groß die Unsicherheit über die Branchenentwicklung auch sein mag, eine von Konferenz-Moderator Andreas Seitz formulierte Grundregel des TV-Designs wird überleben: "Die Summe aus Kreativität und Geld ist immer gleich."

Tristan Thielmann




27.09.02 tt@udk-berlin.de